Hier erfahren Sie wie Werte von Geburt an entstehen und warum die drei Werte Liebe, Schutz und Sicherheit Grundwerte jedes Menschen sind.
Schutz wirkt von außen, Sicherheit entsteht im Inneren – beide wachsen aus gelebter Beziehung und bilden auf Basis von Liebe das Fundament menschlicher Werte.
Diese Werte sind nicht abstrakte Ideale, sondern frühe Beziehungserfahrungen, die unser inneres Erleben und Handeln bis ins Erwachsenenalter prägen.
Wo unsere Werte ihren Anfang nehmen
In den ersten Jahren der Kindheit denken wir noch nicht logisch-rational, sondern begegnen der Welt vor allem über Emotionen. Doch wie entwickeln sich daraus Werte?
Unser Leben beginnt nach der Befruchtung in einer Symbiose zwischen Mutter und Kind – einer körperlichen und emotionalen Verbundenheit. Aus dieser Einheit treten wir in die Welt. Mit der Geburt erlebt der Mensch erstmals eine grundlegende Trennung. In dieser neuen Welt ist das Kind vollständig auf Beziehung angewiesen. Die Beziehung zur Mutter – und in weiterer Folge zum Vater – ist in dieser frühen Phase von großer Nähe geprägt und wirkt nachhaltig auf die weitere Entwicklung. Der Begriff der Prägung ist eng mit den Arbeiten des Verhaltensforschers und Nobelpreisträgers Konrad Lorenz verbunden. Er beobachtete, dass frisch geschlüpfte Graugansküken jenem Wesen folgen, dessen Stimme sie zuerst wahrnehmen. Dieses Phänomen verdeutlicht die Bedeutung früher Beziehungserfahrungen. Menschliche Babys erleben die ersten Interaktionen mit der Außenwelt bereits im Mutterleib. Sie hören Stimmen und nehmen Stimmungen wahr. Sie sind Teil des körperlichen und emotionalen Systems der Mutter. Nach der Geburt ist das Kind alleine noch nicht lebensfähig. Es ist auf Erwachsene zum Überleben angewiesen. Der menschliche Schutz- und Fürsorgeinstinkt wird aktiviert. Beim eigenen Kind entsteht nahezu automatisch Elternliebe. So wird das eigene Kind als einzigartig, liebenswert und schutzbedürftig erlebt.
Vom Paar zur Familie – Prioritäten ordnen sich neu
Mit der Geburt eines Kindes wird das Leben in der Partnerschaft grundlegend neu ausgerichtet. Während zuvor vor allem die Bedürfnisse und Interessen der beiden Partner im Mittelpunkt standen, treten diese nun ganz natürlich in den Hintergrund. Neben höchster Freude und liebevoller Verbundenheit entstehen allerdings auch neue, bisher unbekannte Anforderungen, die zu persönlicher Überforderung führen können. Was Eltern neu verbindet, ist eine gemeinsame Aufgabe, ein neuer Lebenssinn, der über die eigene Person hinausgeht. Darin liegt eine besondere Chance, in diesem neuen Lebensabschnitt zu wachsen – persönlich und als Paar. Aus Partnerschaft wird Elternschaft. Ein verbreiteter Irrtum ist jedoch die Annahme, dass unsichere oder instabile Paarbeziehungen durch ein gemeinsames Kind „gerettet“ werden könnten. Gerade die Übergangsphase zur Elternschaft verlangt viel Energie und Aufmerksamkeit. Unterschiedlichkeiten, Spannungen und ungelöste Themen treten in dieser Zeit oft noch deutlicher zutage als zuvor.
In dieser neuen Lebenssituation treten die Werte Liebe, Schutz und Sicherheit neu in den Vordergrund. Sie sind in uns bereits vorhanden und ordnen sich nun neu.
Nach der Geburt unseres ersten Kindes stand ich als begeisterter Skifahrer vor einem besonders einladenden Tiefschneehang. Es hatte gerade geschneit, blauer Himmel, Sonnenschein und noch keine einzige Spur im Gelände
weit und breit. Normalerweise wäre ich voller Genuss in dieses Erlebnis eingetaucht. Doch dieses Mal meldete sich plötzlich ein neues Gefühl: Gefahr! Eine innerer Alarmglocke läutete. Was würde geschehen, wenn eine Lawine abgeht und ich nicht mehr am Leben wäre? Was wäre mit meiner Familie? Wie würde mein Kind aufwachsen ohne mich? Was würde das finanziell bedeuten? In diesem Moment war mir plötzlich meine Verantwortung für den Schutz unseres Kind klar. Ich drehte um und fuhr auf der präparierten Piste weiter.
Aus der Meta-Ebene betrachtet: neue Werte-Priorisierung führt zu neuem Verhalten.
Bindung als Basis für Entwicklung
Durch das gemeinsame Zusammenleben entsteht über die Zeit Bindung – zwischen Kind, Eltern und weiteren Bezugspersonen.
Der britische Psychiater John Bowlby, Begründer der Bindungstheorie, zeigte gemeinsam mit der Entwicklungspsychologin Mary Ainsworth, dass sich unterschiedliche Bindungsformen entwickeln können: sicher, vermeidend, ambivalent und desorganisiert. Sichere Bindung entsteht durch feinfühlige und verlässliche Fürsorge. Das Kind erlebt seine Bezugsperson als sichere Basis, von der aus es die Welt erkunden kann, und als sicheren Hafen, zu dem es bei Stress oder Angst zurückkehren darf. Diese frühen Beziehungserfahrungen formen das „innere Arbeitsmodell“ des Kindes. Auf dieser Grundlage entwickeln sich zentrale innere Haltungen und Kernwerte wie Liebe, Vertrauen, Geborgenheit und Selbstwert.
Wichtig: Bindung prägt, aber sie legt nicht fest. Neue, tragende Beziehungen können innere Sicherheit auch im Erwachsenenalter stärken und verändern.
Entwicklung und Reifung – ein Leben lang
Was geschieht, wenn wir als Kinder nicht von Anfang an verlässliche und förderliche Lebensbedingungen erfahren? Fehlen Sicherheit, Schutz oder emotionales Verständnis, entstehen daraus besondere persönliche Herausforderungen. Diese können Unsicherheit hervorrufen, zugleich aber auch einen starken inneren Antrieb, diese Unsicherheit zu überwinden. Diese Lebensthemen, können durch Bewusstwerdung und Reflexion nutzbar gemacht werden können. Nicht selten entwickeln Menschen daraus besondere Fähigkeiten und Stärken.
Als ich 15 Jahre alt war, habe ich meinen Vater durch einen plötzlichen Tod verloren. Er war 59 Jahre alt. Schutz und Sicherheit waren plötzlich nicht mehr in der Form vorhanden wie bisher. Wir waren als Familie sehr gefordert und gleichzeitig sind wir auch, jeder auf seine Weise, gewachsen. Notgedrungen. Einerseits habe ich einen meiner beiden Elternteile und nächste Bezugsperson verloren, andererseits wurde ich dadurch gefordert selbstständig zu sein. Daraus entwickelte sich – nicht freiwillig, sondern aus der Lebenssituation heraus – eine Kompetenz zur Selbstständigkeit. Dieser Wert der Selbstständigkeit hat mich seitdem mein ganzes Leben begleitet – familiär und auch beruflich. Rückblickend hat er wohl die Basis dafür gelegt, als selbstständiger Unternehmer beruflich tätig zu sein.
Außerdem wurden mir in dieser Situation die Wichtigkeit von Familie, Freundschaft und Mitgefühl sehr bewusst. Ich weiß heute noch sehr genau, wer damals für mich da war – und wer nicht. Besonders hilfreich war es, wenn mich jemand ansprach, einfach zuhörte und vielleicht sogar Unterstützung anbot, ohne eigene Deutungen in den Vordergrund zu stellen. Das Leid und die Stille mitauszuhalten, ohne sie sofort erklären oder lösen zu wollen.
„In Extremsituationen werden Werte unmissverständlich sichtbar“, erkannte der US-amerikanische Psychoanalytiker und Kinderpsychologe Bruno Bettelheim bereits Mitte des vorigen Jahrhunderts – geprägt durch seine Erfahrungen während seiner KZ-Aufenthalte.
Rückblickend ist es sehr schön zu sehen, welche Werte in dieser Zeit für mich klar wurden und wie sie mein weiteres Leben beeinflusst haben. So wurde es mir wichtig, bewusster auf meine Gesundheit zu achten – mit einem nach außen nie ausgesprochenen Ziel: älter zu werden als mein Vater. Dies ist mittlerweile gelungen. Ein noch größeres Ziel war es, so gesund zu bleiben, dass ich als Vater noch lebe, wenn unser jüngstes Kind älter als 15 Jahre alt ist. Dass auch dies Wirklichkeit geworden ist, erfüllt mich mit großer Dankbarkeit und Freude.
Der Tod meines Vaters war wie ein Stachel im Fleisch, um Antwort auf eine der existenziellen Fragen zu finden: Gibt es ein Leben nach dem Tod? Schritt für Schritt näherte ich mich diesem Thema über verschiedene Zugänge. Das dauerte Jahre. Viele Jahre. Und jeder einzelne Schritt war sinnvoll. Wie bei einem Puzzle fügte sich allmählich alles zusammen. Es ist für mich eine große Gnade, dass mir mittlerweile ein spiritueller Zugang geschenkt wurde, der für mich stimmt und bestimmt ist.
Somit wurde die Ausrichtung auf wesentliche Werte und Lebensziele in einer Situation gelegt, die ich damals vor allem als Verlust erlebt habe. Erst später – durch Reflexion, Coaching und Psychotherapie – wurde daraus Schritt für Schritt mehr Klarheit und eine innere Ressource.
So können krisenhafte Situationen helfen, zu erkennen, welche Werte im Leben wirklich Priorität haben.
Impulse für die Praxis
Schutz, Sicherheit und Liebe gehören zu den grundlegenden Werten unseres Lebens. Sie können Halt geben, Orientierung schaffen und Verantwortungsbewusstsein stärken. Gleichzeitig können sie – wenn sie überbetont oder vermieden werden – Entscheidungen unmerklich einschränken.
Falls Sie Lust haben, zu diesem Thema über Ihr eigenes Leben zu reflektieren, finden Sie nachfolgend einige Impulse.
Wie erkenne ich, unterbewusste unausgeglichene Gefühle/Muster?
Beobachten Sie, in welchen Situationen Sie überreagieren bzw. wo Sie möglicherweise auch zu wenig emotionale Resonanz zeigen. Hier zeigen sich Entwicklungspotenziale. Durch Bewusstwerdung, Reflexion und tragfähige Beziehungen können frühe Defiziterfahrungen transformiert werden. Was zunächst als Mangel erlebt wird, kann sich als Kompetenz erweisen. Wir erkennen, wie auch die Entwicklungspsychologie bestätigt, dass Entwicklung, Reifung und Veränderung ein Leben lang möglich sind.
Schutz, Sicherheit und Liebe in meinem Alltag leben
Welche Bedeutung haben die Werte Schutz, Sicherheit und Liebe in meinem Leben?
Wie wirken sich diese Werte auf meine Entscheidungen und mein Verhalten in meinem persönlichen und beruflichen Leben aus?
Welchen kleinen nächsten Schritt möchte ich in meinem Verhalten morgen anders machen? Was möchte ich beibehalten?
Link – Erkenntnisse zur Bindungsforschung
Nachfolgend finden Sie einen Link zu einer Kurzzusammenfassung der Erkenntnisse von John Bowlby aus seiner langjährigen Bindungsforschung. In diesem 8-minütigen Video zeigt er Forschungsergebnisse und spannende Experimente über verschiedene Bindungsmuster zwischen Eltern und Kindern und was diese im Leben bewirken können. Auch heute noch immer aktuell.