Ein Forscher im Labor, ein Beduine in der Wüste, ein Künstler im Atelier – sie alle leben in derselben Welt. Und doch erleben sie völlig unterschiedliche Realitäten, selbst wenn Sie am selben Ort leben würden. Der Grund dafür liegt nicht in der Welt selbst, sondern in der Art und Weise, wie wir sie wahrnehmen. Wir betrachten die Welt nicht neutral – wir erschaffen sie innerlich.
Alles, was wir über die Welt wissen, beruht auf Sinneseindrücken. Hören, Sehen, Tasten, Riechen und Schmecken liefern das Grundmaterial, aus dem unser Geist Bedeutung formt. Aus diesen Eindrücken entsteht unser Bild der Wirklichkeit. Kulturelle, familiäre, private und berufliche Erfahrungen wirken dabei wie ein vorgelagerter Filter: Sie selektieren Wahrnehmungen, bewerten sie und verwandeln die objektive Wirklichkeit in subjektive Wahrheiten.
Selbst wenn Menschen unter identischen Bedingungen aufwachsen würden – mit gleicher DNA, am selben Ort, in derselben Familie –, wäre ihre Wahrnehmung dennoch nicht deckungsgleich. Erfahrungen, Gefühle und die Schlüsse, die wir daraus ziehen, sind einzigartig. Wahrnehmung ist daher nie ein bloßes Abbild der Wirklichkeit, sondern immer auch subjektive Deutung
So entwickeln wir individuelle Weltbilder – innere Landkarten der Realität. In ihnen bündeln sich Werte und Glaubenssätze, oft unterbewusst. Sie bestimmen, was wir für möglich halten, wie wir Situationen deuten und wie wir handeln. Weltbilder eröffnen Handlungsspielräume – oder sie begrenzen sie.
Schon in der Antike finden sich Klagen über die Jugend und den Zustand der jeweiligen Zeit. Bereits Hesiod beschrieb um 700 v. Chr. den moralischen Verfall seiner Epoche, später griffen Platon und Aristoteles Spannungen zwischen den Generationen, den Verlust von Autorität und die Sorge um Werte auf. Seit über 2.400 Jahren begleitet diese Haltung die Menschheit. Das bekannte, Sokrates zugeschriebene Zitat bringt diese zeitlose Perspektive auf den Punkt – auch wenn es historisch nicht eindeutig belegbar ist:
„Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte.“
Solche Bewertungen sagen weniger über die Jugend aus als über jene Menschen die sie vornehmen. Sie engen beispielsweise die Handlungsspielräume in der Zusammenarbeit mit dieser Generation dramatisch ein. Und so geht es uns allen zum Teil bewusst zum Teil unterbewusst
Besonders deutlich zeigt sich das im Alltag von Führung, Zusammenarbeit und Verantwortung. Sätze wie
„Bevor ich es dem Jungen erkläre, mache ich es lieber gleich selbst – dann bin ich schneller“
wirken harmlos – und prägen doch Entscheidungen, Beziehungen und die gemeinsame Gestaltung von Zukunft.
Der Dreierschritt: Weltbild, Glaubenssätze und Werte bewusst machen
Unser Weltbild ist wie eine innere Landkarte.
Glaubenssätze sind die Linien darauf – sie erklären, warum wir so handeln.
Werte sind der innere Kompass – sie zeigen, was uns dabei wichtig ist.
1. Wahrnehmen – das Weltbild erkennen
„Bevor ich es jemandem anderen erkläre, mache ich es lieber selbst – dann bin ich schneller.“
Hier geht es ausschließlich um Beobachtung:
Wie sehe ich die Situation?
Was tue ich automatisch?
2. Verstehen – Glaubenssätze und Werte benennen
Was muss ich glauben, damit dieses Verhalten für mich logisch ist – und welchen Wert schütze ich damit?
Beispiele:
- Glaubenssatz: „Andere arbeiten nicht so gründlich wie ich.“
→ zugehöriger Wert: Qualität- Glaubenssatz: „Erklären kostet mehr Zeit als selbst machen.“
→ zugehöriger Wert: EffizienzGlaubenssätze liefern die innere Begründung.
Werte erklären, warum mir diese Begründung wichtig ist.
3. Erweitern – die Landkarte neu zeichnen
In diesem Schritt wird die innere Landkarte nicht ersetzt, sondern ergänzt.
Die bisherigen Werte bleiben gültig – es kommen weitere hinzu.
Qualität wird ergänzt durch Entwicklung, Effizienz durch Nachhaltigkeit.
Konkret bedeutet das:
Eine Aufgabe wird einmal gründlich erklärt und übergeben – auch wenn es zunächst länger dauert.
Dafür entstehen mit der Zeit Entlastung, Verlässlichkeit und echte Zusammenarbeit. Erst jetzt wird Delegation möglich
Der Nutzen:
Ich muss mich nicht mehr zwischen Tempo oder Beziehung, Kontrolle oder Vertrauen entscheiden. Ich kann situationsgerecht wählen.
Kernbotschaft
Indem wir unser Weltbild erkennen, die zugrunde liegenden Glaubenssätze verstehen und unsere Werte bewusst erweitern, zeichnen wir unsere innere Landkarte neu – und vergrößern unseren Handlungsspielraum.
Lust zur Selbstreflexion?
Denken Sie an eine aktuelle Situation, die Sie vielleicht innerlich geärgert oder blockiert hat.
Fragen Sie sich:
- Was habe ich automatisch gedacht oder getan?
- Welcher Glaubenssatz und welcher Wert könnten dahinterstecken? Passiert mir das öfters?
- Welche zusätzliche Sichtweise könnte mir hier mehr Handlungsspielraum geben?
Schon ein kleiner Perspektivwechsel kann den Umgang mit der Situation spürbar verändern.